Gohgericht von 1529
Das Gericht und Rechtswesen - Das Gohgericht
Es gewährt dem Geschichtsfreunde großes Interesse, die Spuren des altdeutschen in seinem Vaterlande aufzusuchen und danach zu forschen, welches die gesellschaftlichen Institution der Altvordern waren und in welcher Weise und an welchen Orten die Väter Recht sprachen und nahmen. Er macht dann die angenehme Entdeckung, wie das Bild, das die Historiker der Geschichtsverfassung der alten Germanen entworfen, auch in den vaterländischen Gegenden sich spiegelte. Doch sind es ihr nur abgerissene Nachrichten, welche darüber vorliegen. Das erste was sich uns für den Bezirk der Ämter Grohnde und Ohsen bietet, ist eine Kunde über das große Volksgericht in der Gau. Es liegt uns das Protokoll über das letzte hier abgehaltene Gericht dieser Art vor, woraus wir das Wesentliche mitteilen wollen.
Im Jahre 1529 am Mittwoch nach [dem] Uldariki – Tage hielt Herzog Heinrich d.J. von Braunschweig-Wolfenbüttel auf dem Anger bei Brockensen ein großes Gohgericht für die Herrschaft Homburg. Der Herzog war selbst mit 200 Pferden dabei gegenwärtig.
In seinem Gefolge fanden sich folgende fürstliche Räte: Kanzler Dr. König, Kurt von Veltheim, Ludwig von Wenden, Ewald von Baumbach und Hans von Grevendorf, dann der Pfandinhaber des Hauses Homburg, Wilken Klenke. Als vor das Gohgericht gehörig waren erschienen: Gunzel von Gron als Stellvertreter des Grafen Friedrich von Spiegelberg qua. Pfandinhaber des Hauses Ohsen; der Pfandinhaber des Hauses Grohnde, Joh. von Münchhausen vertreten durch seinen Vogt und drei anderen Männern; der homburgische Adel namentlich Friedrich von Werder, Pölitz von Werder, Asche und Heinrich Gebrüder von Werder, Johann von Grone und Berend von Bevern. Die Stadt Hameln repräsentiert durch ihren Bürgermeister Friedrich von Münster, die Stadt Bodenwerder mittelst ihrer Deputierten, des Bürgermeisters Hans Wedig und Sekretär Kurt Troge. Als Bankvogt saß zu Gericht der vom Herzog dazu bestellte Karsten Bodenthal, Burgvogt zu Eschershausen, ihm zu beiden Seiten saßen der fürstliche Rat Ewald von Baumbach als Abgeordneter des Herzogs, Berend von Ludingen als Altersdeputierter des Adels und der gedachte Bürgermeister Friedrich von Münster als von den Städten Hameln und Bodenwerder bestellt. Prokurator des Herzogs, der die fürstlichen Anträge zu stellen hatte („Vorwak“) war Hans Schaper aus Salzhemmendorf; Karsten Segerdos, Bürger zu Bodenwerder, war Bote des Gerichts. Die Weistümer (Gerichtsansprüche nach Gewohnheitsgesetzen), welche dann auf Antrag des Herzogs eingebracht wurden, waren folgende:
1. es stehe in den Willen des Landesherrn, das Gohgericht so oft abzuhalten oder abhalten zu lassen, als er für gut finde;
2. das Gerichte werde von dem Herzoge oder dessen Repräsentanten, dem Inhaber des Schlosses Homburg, gebeten und ausgeschrieben;
3. die peinliche wie die Wrogen – Gerichtsbarkeit in der ganzen Herrschaft Homburg sei ausschließlich dem Landesherrn, dem Herzoge als rechtsmäßigen Erben des Hauses Homburg zuständig;
4. alte Zivil-Rechtssachen gehören vor das Gohgericht; die Vollstreckung der Urteile, alle Pfandungen und Verhaftungen gebühren allein dem Landesherrn ;
5. die Insassen und Untertanen der Herrschaft seien verpflichtet, behuf der Bauten am Schlosse Homburg und an dessen Höfen und Vorwerken so oft es nötig, Burgvogtdienste zu leisten;
6. es sei anerkannt, daß dem Herzoge als Inhaber der Burg Homburg alle unmittelbare obrigkeitliche Gewalt in der Herrschaft Homburg zustehe;
7. auch seien die Insassen verpflichtet und bereit, die bisherigen 6 Frohndiensttage ferner abzuleisten, weil und insofern der Herzog sie bei ihren Rechten lasse;
8. würde jemand vor dem Gohgericht das Urteil anfechten und drohen, sich auf das Urteil dreier Beamte zu berufen, so soll derselbe Brüchte[1] bezahlen, deren Betrag von der Gnade des Fürsten abhinge ;
9. jeder der von alters her vor dieses Gohgericht gehören und aufgefordert worden sei, zu erscheinen, demnach vorsätzlich davon wegbleibe, verfalle in eine Brüchte von 3 Pfund Geldes;
10. es sei dem Wissen nach nicht herkömmlich, daß dem Adel nach dem Ermessen des Fürsten ein Prokurator[2] bestellt werde;
11. die Gutsbesitzer zu Bessingen und Bisperode von Werder seien freilich stets durch den Drosten auf Homburg zu dem Gohgericht vorgeladen, doch habe man sie niemals dort gesehen; nur wen einer oder mehrere ihrer Leute vorgefordert worden, seien sie zu deren Vertretung erschienen.
Der gegenwärtige Adel der Herrschaft Homburg versicherte dem Fürsten seine Ergebenheit und versprach, sich der landesherrlichen Gnade mit bereitwilliger Liebe würdig zu machen, wogegen der Herzog erklärte, den Adel bei alten Herkommen und Gerechtsamen zu lassen. Es wurde auf Antrag des Adels dem Gerichte die Frage vorgelegt, ob der Gohgraf den Vorsitz in dem Gohgerichte selbst führen müsse, worauf das Urteil erfolgte, daß dies nur dann der Fall, wenn er genötigt sei. Auf fürstlichen Antrag erfolgte dann der weitere Ausspruch des Gerichtes, daß der Gohgräfe den Burgvogt zu Eschershausen zu seinem Stellvertreter bestellen könne. Noch wurde entschieden, daß der Adel den von Fürsten ernannten Gohgrafen unbedingt anzuerkennen habe. Ferner würde auf fürstlichen Antrag die herkömmliche Verpflichtung bestätigt, daß dem Gohgrafen als dessen Gebühr vom Ackermann[3] ½ Himten[4] Roggen und vom Kötner[5] ½ Himten Hafer, wenn dieser keinen Roggen habe, zu geben, und das diese Abgabe auch von den wüste gewordenen Höfen zu entrichten sein.
Schließlich wurde noch der Ausspruch erlassen, daß der Adel auf jedesmalige Anforderung des Gohgräfen zur Besetzung der Schlösser und Amthäuser burgrechtplichtig sei. – Man sieht, das noch manches von der Art und Weise wie die alten Volksgerichte gehalten worden, beobachtet wurde.
Unter offenem Himmel findet die Gerichtsversammlung statt. Unsere Altvorderen hielten ihre Gerichte nie anders als im Freien, denn enge Wohnungen hätten die versammelte Menge nicht fassen können und ihre Liebe zur Freiheit vertrug die Einschließung nicht. Bald war es ein Platz im Walde, bald eine Anhöhe, bald eine Niederung an einer Quelle oder Fluss, bald Auen und Wiesen, am liebsten unter breitschattenden Bäumen, wo die Dingstätte besteint war. Der Fürst ist im sotanen Aufzuge mit zahlreichem Gefolge und umgeben von seinen Staatsbeamten selbst dabei gegenwärtig, worum in unserer alten Landesgeschichte allerdings viele Beispiele vorkommen; besonders war es Albrecht der Große, der die placita[6] u.a. im Jahre 1273 in Begleitung seiner drei fürstlichen Brüder besuchte. Der Richter hieß der Bankvogt, weil er und die Beisitzer auf Bänken saßen, er etwas höher, sie etwas tiefer, während die übrigen Erschienen umher standen.
Der Prokurator lässt ein gemeines Rechtsurteil fragen, der Bote trägt es ins Land, das heißt legt es den Männern, welche hier das Volk präsentierten, zum Spruche vor, und er muss das nach Gewohnheit und hergebrachtem Rechte gefundene Urteil den Richtern überbringen (dat ordel wadder in bringen).
Aber wie ist so vieles schon anders geworden. Die Rechte der Fürsten haben sehr an Ausdehnung gewonnen. Ein Abgeordneter des Herzogs ist Beisitzer des Gerichts. Der Fürst hat das Gohgericht besonders veranstaltet, damit das Land seine Gerechtsame anerkenne; es soll öffentlich und feierlich zu Recht erklärt werden, welche Gewalt ihm als Beisitzer des Hauses Homburg zustehet. Zu Handlungen freiwilliger Gerichtsbarkeit und zur Entscheidung von Zivilklagen scheint nicht nur keine Zeit gewesen zu sein, sondern man ist schon längst nicht mehr gewohnt, diese vor einem solchen Gerichte entscheiden zu lassen. Ein Gohgericht ist hier ja lange nicht gehalten worden, denn es haben zu dem hier beschriebenen des Jahres 1529 „die alten verfallenen Gerichtsbänke“ auf dem Anger bei Brockensen erst wieder hergestellt werden müssen. Der alte Gau Tilithi ist natürlich seit undenklichen Zeit aufgelöst; nicht einmal sein Name wird hier genannt. Darum umfasst dieses Gericht bei weitem auch nicht jenen alten Gau; die verschiedenen Herrschaften worin er zerfallen ist, bilden eben so viele Justizbezirke.
Daher die Vermehrung der Gohgerichte und der Dingstätten verglichen mit denen zur Zeit der Karolinger. Als im Jahre 1460 am 20. Oktober (siehe Geschichte der Familie von Hake S. 96 u. 97) Metteka Bockhagen an die von Hake das Gut Buchhagen verkaufte, sagte der Gohgräfe in der Herrschaft Homburg, Henrik Krastenbarth, Montags nach der Hauptkirche muss ein feierliches Gericht vor der großen Brücke zu Bodenwerder, mit Schöffen („Dünklüden“), Prokuraten und Boten besetzt, in welchem Gerichte der Kontrakt bestätigt wurde. Auffallend aber ist es, das die Ämter Ohsen und Grohnde, welche doch Herzog Erich der Ältere in den Teilungen zugefallen waren, hier vor dem Gohgerichte erscheinen, daß Heinrich der Jüngere abhält, zumal da dieses Gericht als das Gohgericht der Herrschaft Homburg aufgeführt wird, zu welcher Herrschaft urkundlich Ohsen niemals gehört hat, auch höchstwahrscheinlich Grohnde nicht gerechnet wurde.
(der Text ist von Karl Schlutter, handschriftliches Manuskript um 1900, veröffentlicht als Band 1 der Schriftenreihe des Historischen Archives, Emmerthal 2010) (Fußnoten C.H.)
[1] Brüche, in der alten Rechtssprache, bes. in Niederdeutschland, die geringern Verbrechen, die vor den Brüchengerichten verhandelt wurden; auch deren Strafe, bes. Geldstrafe; brüchen, ein Verbrechen durch Geldstrafe ahnden. (Brockhaus' Kleines Konversations-Lexikon, fünfte Auflage, Band 1. Leipzig 1911., S. 274)
[2] Prokurātor (lat.), Sachwalter; Vertreter, der im Auftrag eines andern und auf Grund einer Vollmacht (Prokuratorium) dessen Geschäfte, insbes. vor Gericht, führt. (..). In der römischen Kaiserzeit hießen Procuratores (»Landpfleger«) die Verwalter des kaiserlichen Privatvermögens, die in kleinen Provinzen zugleich die Stelle des Statthalters versahen oder diesen in den zu einer Provinz gehörigen kleinen Territorien vertraten. (...) In Klöstern heißt der Konventual, der die ökonomischen und sonstigen weltlichen Angelegenheiten zu besorgen hat, Pater Procurator oder Klosterschaffner.(...) (Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 16. Leipzig 1908, S. 377)
[3] Der Ackermann, des -es, plur. die Ackerleute.(...). 2) In engerer Bedeutung in einigen Gegenden, z.B. im Braunschweigischen, ein völliger Bauer oder Vollbauer, ein Pferdner, zum Unterschiede von dem Halbbauer oder Halbspänner. (...) (Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 1. Leipzig 1793, S. 160)
[4] Himten (Himpten), früheres Getreidemaß mehrerer norddeutschen Staaten zu gewöhnlich 4 Vierfaß, Spint oder Metzen: in Hannover = 31,152 Lit., in Braunschweig = 31,145 L., in Hamburg = 27,481 L. etc. (Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 9. Leipzig 1907, S. 348)
[5] Bauer (…) Nach der Größe ihres Besitzes werden in den verschiedenen Gegenden unterschieden: Vollbauern (Vollspänner, Vollmeier, Vollerben, Vollhöfner, Besitzer ganzer Höfe, Hofbauern), Dreiviertelbauern (Hüfnermeier, Dreiviertelspänner), Halbbauern (Halbspänner, Halbhufner, Huber. Halbmeier), Viertelhofsbesitzer oder Lehner, Eigenlehner, Köter (Katen, Kotsassen, Kossäten, von »Kot« oder »Kat«, kleiner Hof), die nur ein Haus oder etwas Ackerland besitzen (…) (Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 2. Leipzig 1905, S. 457-459)
[6] Landgericht, 1) (kaiserliche L-e), sonst die öffentlichen Gerichte, welche an Stelle der früheren Volksgerichte in Deutschland getreten waren u. unter Königsbann, meist unter Vorsitz eines Grafen, gehalten wurden (Placita populi s. terrae, Judicia terrestria), (…). (Pierer's Universal-Lexikon, Band 10. Altenburg 1860, S. 81)
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